Bio

*1958 Niedermohr/Pfalz, studierte Hirsch zunächst Ende der 1970er Jahren Informatik, zusätzlich von 2003-2011 Philosophie und promovierte in Philosophie und Kunsttheorie. Seine künstlerische Ausbildung absolvierte er an der Europäischen Kunstakademie, Trier. Hirschs Interesse gilt der Bildhauerei in einem konzeptionellen Setting. Das zentrale Anliegen von Hirsch ist die Partizipation des Kunstbetrachters. In vielen seiner Arbeiten kann der Betrachter eine aktive, gestaltende Rolle einnehmen, so dass dieser zum Co-Autor wird. Seine Arbeiten integrieren philosophische Aspekte und archaische Materalien und Formen, die die Wechselwirkung von der eigenen Identität und der konstruktiven Flexibilität zur Welt zum Thema haben. Hirsch arbeitet seit 2002 als freischaffender Künstler und lebt in Weiterstadt und Frankfurt.

Paul Hirsch (1958, Niedermohr | GER) initially studied computer science in the late 1970s, additionally from 2003-2011 he graduated in philosophy and received a PhD in philosophy and art theory. Complemented by a fine arts education in the European Art Academy,Trier, he always has been working as a sculptor. Hirsch`s artistic interests focus on the direct interaction with the audience. In most of his works and installations the beholder might take an active role, so that he becomes in some cases even a co-author. The oscillation between the philosophy-related aspects and the archaic materials and forms, he makes use of, question the interplay between identity and flexibility. Living in Weiterstadt and Frankfurt Hirsch works as a freelance artist since 2002.

Paul Hirsch und die Verwandlung der Rezipienten

Prof. Dr. Wolfgang Ullrich, Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler, über das Werk von Paul Hirsch

Seit einiger Zeit kann man immer wieder einmal lesen oder hören, dass Installationen in Kunstausstellungen von Besuchern heimlich umgebaut, Bilder noch um zusätzliche Motive ergänzt werden. Offenbar sind diejenigen, die solche Umbauten und Ergänzungen vornehmen, der Überzeugung, ein Werk sei nichts Abgeschlossenes, vielmehr sei es vielleicht sogar gewünscht, dass sie eingreifen. Immerhin könnten sie auf Künstler wie Yoko Ono oder Franz Erhard Walther verweisen, die schon in den 1960er Jahren für eine demokratischere und offenere Kunst, für partizipative Werkformen plädiert haben. Und ist es in anderen Bereichen nicht ohnehin selbstverständlich geworden, eine aktivere Rolle als früher einzunehmen, also etwa beim Konsumieren oder bei der Nutzung Sozialer Medien Vorgegebenes selbstständig weiter zu bearbeiten? Warum sollte das nicht genauso bei Kunst der Fall sein? Warum sollte man überhaupt noch zwischen Künstlern und Rezipienten trennen?
So ähnlich dürfte auch Paul Hirsch gefragt haben. Und dann dazu gelangt sein, ‚Movable Sculptures’ zu entwickeln, die von vornherein darauf angelegt sind, immer wieder neu in Form gebracht zu werden. Aus Holz geschnitzt oder mit einem 3D-Drucker produziert, bestehen sie jeweils aus mehreren miteinander verbundenen und gegeneinander verschiebbaren Teilen. Man kann sie also nicht beliebig verändern, vielmehr bieten sie Freiheit in einem klar definierten Rahmen. Und je länger man sich damit beschäftigt, desto besser kann man die in ihnen steckenden Möglichkeiten ermessen. Mancher wünscht sich dann vielleicht noch mehr Freiheit im Umgang mit den Teilen einer Skulptur, andere hingegen dürfte es faszinieren, dass ihnen keine der möglichen Konstellationen besser oder schlechter vorkommt als eine andere. Und deshalb bleibt der Künstler bei allen Aktivitäten, zu denen seine Skulpturen
veranlassen, präsent. Indem er im Voraus angelegt hat, welche Spielräume es gibt, hat er aber etwas gemacht, was man aus anderen Bereichen unter einem eigenen Begriff kennt: Er hat programmiert. Er hat ein Feld an Optionen abgesteckt, die sich nach und nach realisieren lassen. Und wer immer an diesen Realisierungen beteiligt ist, führt das ‚Programm’ der jeweiligen Skulptur aus – testet dessen Grenzen, stellt es auf die Probe, bewundert seine Anlage, will es vielleicht auch überlisten.
Bei anderen Werken von Paul Hirsch ist noch offensichtlicher, dass man ein von ihm entwickeltes Programm bedient. So platziert er in Ausstellungen gerne auch geschnitzte QR-Codes, die zu einer Website führen, und wenn man von ihr aus das Smartphone vor ihrerseits geschnitzte Marker in der Ausstellung hält, tauchen auf dem Bildschirm ‚Augmented Reality’-Bilder beweglicher Skulpturen auf. Hier kann man die Art der Bewegung zwar nicht selbst bestimmen, löst sie aber nur dann aus, wenn man aktiv wird.
Die Rolle, die Paul Hirsch als Künstler einnimmt, erinnert daran, wie der Philosoph Vilém Flusser über Fotografie geschrieben hat. Für ihn war jeder Fotoapparat „programmiert“, jedes Foto also nicht mehr als „eine Verwirklichung einer der im Programm des Apparats enthaltenen Möglichkeiten“. Deren Anzahl sei zwar groß, aber „dennoch endlich“. Wer sich als Fotograf einbilden mag, besonders originelle, noch nie gesehene Bilder geschossen zu haben, hat letztlich also nur „noch unentdeckte Möglichkeiten ausfindig“ gemacht. Eine „solche Tätigkeit“, so Flusser weiter, sei „der des Schachspielens vergleichbar“.1
Kunstrezipienten verwandelt Hirsch also in Schachspieler – denen es hier allerdings nicht ums Gewinnen geht, sondern darum, neue Spielvarianten ausfindig zu machen. Er bietet ihnen mit seinen Skulpturen viele Handlungsoptionen und die Aussicht auf unerwartete Konstellationen. Und wie man ziemlich unelegant oder aber sehr schön Schach spielen kann, lassen sich auch die Elemente der Skulpturen besonders poetisch anordnen, ja man bekommt Lust, aus den immer selben Teilen mal etwas Schroffes, mal etwas Zartes, mal etwas Rätselhaftes zu gestalten. So stimuliert Paul Hirsch die Kreativität der Nutzer, und nachdem man die ersten Schritte gleichsam an der Hand des Künstlers gemacht hat, will man vermutlich selbständig laufen. Hat man erst einmal die Möglichkeiten einer ‚Movable Sculpture’ ausprobiert, entwickelt man also vielleicht Lust, sich über deren Platzierung Gedanken zu machen. Setzt man sie auf einen Sockel? Präsentiert man sie als Einzelstück oder in Verbindung mit anderem? Und man kann selbst darüber bestimmen, wie oft man sie umbaut – einmal am Tag oder einmal im Jahr, nur für sich alleine oder zusammen mit Freunden oder Gästen. Man kann Rituale der Umgestaltung entwickeln, darauf aber genauso verzichten, kann jede neue Variation dokumentieren und systematisch nach weiteren Möglichkeiten suchen – oder aber es dem Zufall überlassen, in welche Konstellation sich eine Skulptur fügt.
Paul Hirsch mischt sich bei all dem nicht mehr ein, ja das sind Entscheidungen jenseits seiner Programmierung. Und das ist das Besondere seiner Kunst: Sie besitzt zwei unterschiedliche Freiheitsgrade. Werden aus Rezipienten im einen Fall Spieler, die sich noch an vorgegebene Regeln zu halten haben, so können sie im anderen Fall zu Schöpfern werden, die etwas Eigenes mit den vorgegebenen Skulpturen machen. Da Paul Hirsch diese beiden Fälle sehr genau reflektiert und definiert, gestaltet er aber auch die Rollen des Kunstpublikums sorgfältiger und differenzierter als sonst üblich. Und schließlich sind vielleicht sogar die von ihm entwickelten Optionen des Umgangs mit seinen Skulpturen sein eigentliches Werk.


1 Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen 1983, S. 24f.

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